Einmal sägen, bitte

Mein liebster Antiquitätenhändler hat eine Knochensäge im Fundus.

Leider in seinem eigenen. Er will das Ding einfach nicht hergeben.

Sein Mann redet ihm ja schon ständig gut zu (ich auch), aber er bleibt bislang standhaft.

Jetzt bräuchte ich das Ding aber dringend für meine Ausrüstung, sonst muss ich mir doch für die nächste Amputation wieder eine vom Chef leihen. In irgendwann in nächster Zeit bin ich dann mal wieder dran.

*

Wir sind gerade damit fertig, unser Lazarett einzuräumen, als ein uniformierter Soldat eintritt und sich prompt auf den Tisch setzt.

Ein kurzer Kommentar vom Chef, dass er zu früh dran sei, die Schlacht wäre ja erst in einer Stunde. Erst die Schlacht, dann die Verwundung.

„Jaja“, sagt der Soldat. „Ich wollte schon mal fragen, wer hier am besten amputiert.“

Gelächter, einige Finger deuten auf einen – von mehreren – aus dem Chirurgencorps, der im echten Leben den gleichen Beruf ausübt.

„Ja dann“, sagt der Soldat, „schärfen Sie schon mal gut die Messer.“

Der Chirurg lacht und fragt ihn, was genau er ihm denn wo abschneiden soll.

Der Soldat deutet mit der Hand eine Linie am linken Unterschenkel an.

„So etwa wäre gut.“ Sagt’s, krempelt die Uniformhose aus dem Weg und bastelt zwecks Vorführung den unteren Teil seines Beins samt Fuß und kurzem Stiefel ab.

„Das nicht als Showeffekt zu nutzen, wäre doch Verschwendung“, meint er.

Dem kann man nun wirklich nicht widersprechen.

Und damit jeder mal die Säge schwingen kann, haben wir sozusagen einen Dienstplan… Der wiederum besagt, dass mein lieber Herr Antiquitätenhändler langsam dringend mal in die Gänge kommen sollte. Ich brauch‘ doch die Säge.

Die Belagerung von Burgos (Reenactment)

Wir hatten ja eigentlich schon ein Leihpferd für meinen Mann gebucht, damals…

Denn ab einer bestimmten Distanz wird es unpraktisch, eigene Pferde mitzunehmen. Wir waren zu dem Zeitpunkt ein gutes Jahr zusammen, ich begleitete ihn zwar auf Veranstaltungen, spielte aber noch nicht selbst mit, sondern hielt mich im Hintergrund und beschäftigte mich mit Pferdeputzen, Mikros anheften und Ähnlichem. Ich kannte ihn auf jeden Fall lange genug, um zu wissen, dass es den Herrn nie längere Zeit ohne irgendwelche Schäden gibt.

In dem Fall war er gerade eine Woche vorher zu faul gewesen, die fünfzig Meter bis zur Treppe zu laufen, und von einer etwa 1,80 m hohen Mauer gesprungen. Kann man machen. Würde ich vermutlich auch machen. Nur sollte man vorher schauen, wo man hinspringt.

In dem Fall war das wohin frisch aufgeschütteter Kies, er kam schlecht auf, knickte um… und lief dann noch gut vier Stunden auf einem angeknacksten Fuß und einem gerissenen Band im Knöchel, weil „der Stiefel ist ja gut und hält das.“ Mag sein, aber fast hätte er dann denselben an dem Abend auch mit ins Bett nehmen müssen.

Nun gut, so ein Knöchel lässt sich mit einer Plastikschiene einigermaßen unaufdringlich stabilisieren, und dem Auftritt stand insofern nicht allzu viel im Weg – wenn man davon absieht, dass in den historischen Stiefeln nicht so unendlich viel Platz ist, und man sich deswegen für den Auftritt wieder darauf verlassen „muss“, dass der Stiefel ausreicht. Nur: Immerhin ist er so vernünftig, angeschlagen nicht auf Fremdpferde zu steigen und dann mit diesen in die Schlacht zu reiten.

Das Kuschelpferd musste also mit. Und da wir keinesfalls so früh los konnten, dass wir mit Hänger hätten fahren können und der Flug ohnehin schon gebucht war, war es ein Glück dass immer irgendjemand aus der Truppe Ausrüstung per Auto transportiert. Dort sollte nun also das Kuschelpferd mitfahren. Im Hänger natürlich.

*

Wir flogen also am Freitag, nachdem der Mann, der damals eben „nur“ mein Freund war, Feierabend hatte, einmal quer über Frankreich nach Spanien, fuhren dann weiter nach Burgos, und kamen einigermaßen im Zeitplan an.

Die Franzosen waren als Verteidiger unterhalb der Burgruine platziert, die Briten als Angreifer außerhalb der Stadt.

Kaum angekommen – wir hatten noch nicht mal Zeit, nach unserem Zelt zu sehen – kam uns ein ziemlich zerknirscht dreinblickender Fahrer entgegen. Den Grund dafür bekamen wir dann auch schnell zu sehen: Was ein dunkelbraunes Pferd hätte sein sollen, hatte sich in ein hochzufriedenes Schlammmonster verwandelt. In anderen Worten: Er hatte dem Kuschelpferd was Gutes tun wollen, und es auf der Wiesen laufen lassen – und es hatte sich kurzerhand mit Anlauf in das einzige Gewässer weit und breit geworfen, das dank der Jahreszeit und der Temperaturen nur eine seichte Schicht Wasser über viel Schlamm darstellte, und sich darin ausführlich herumgewälzt.

Antrocknen lassen, dann abbürsten… was anderes kann man da, in Ermangelung eines zur Verfügung stehenden Wasserschlauchs, kaum machen.

Während das Pferd langsam etwas beleidigt wurde, weil es keiner beschmusen wollte, ging es für uns also erst mal ins Zelt, dann einen Zeitplan holen – und mich ausführlich von dem Zuständigen ausschimpfen lassen, weil ich mir erlaubte, die Broschüre mit demselben erst mal abzuphotographieren, um den Plan quasi „unverlierbar“ bei mir zu haben. Ach ja… die Urheberrechtsregeln und das Kopierverbot in Spanien… Wie konnte ich sie nur vergessen? Schon zu meinen Studienzeiten waren die legendär. Regel Nummer 1 in Spanien: Versuche nie, nie, NIEMALS irgendeine Drucksache zu kopieren, wo dich jemand dabei sehen kann. Und geh‘ dazu bloß nicht in einen Copyshop, sofern du dort nicht rausfliegen willst. Nein, auch nicht schnell einen Artikel oder eine Seite Lehrbuch, die du für’s Studium bräuchtest. Irgendwie schaffte ich es, den Herrn Broschürenausgeber zu beruhigen und davon zu überzeugen, dass ich das Foto wieder löschen würde, sobald die Veranstaltung vorbei war, und ich auch wirklich NUR den Zeitplan und keine Beschreibungstexte oder Fotos drauf hatte.
(Ist das eigentlich inzwischen besser? Ich hab’s noch seitdem noch nicht wieder ausprobiert).

Etwas ungewöhnlich war der Zeitplan auch. Normalerweise sind Reenactments fortlaufende Angelegenheiten. Die Lager sind eigentlich geöffnet, solange jemand wach ist, und nur während der Schlachten geschlossen, wenn nicht genug Leute übrig wären, um Aufsicht zu führen. Geboten ist eigentlich durchgängig etwas. Hier war es aber so, dass nur bestimmte Zeiten vorgesehen waren, zu denen für ein paar Stunden „Lagerleben“ praktiziert wurde, und am Samstag mehrmals „Leerlauf“ war – Zeiten, zu denen wirklich nichts vorgesehen war.

Wieder im Zelt wurde erstmalig klar, dass die Streunersituation dort sehr extrem war. Es ist allgemein so, dass man in Spanien und Portugal viel mehr streunende Tiere trifft als bei uns. Diese sind auch in der Regel relativ zutraulich, da sie daran gewöhnt sind, von Touristen gefüttert zu werden. Man könnte auch sagen: Aufdringlich. Da historisch korrekte Zelte aber keine verschließbaren Netze sondern nur sehr undicht schließende Planen haben, ist es so gut wie unmöglich, zu verhindern, dass man hin und wieder ungefragt Besuch bekommt. An diesem Wochenende gab es aber wirklich ungewöhnlich viele ungeladene Gäste.

Nach einem schnellen Abendessen im Zelt – und vorsichtigem Wegräumen aller Reste – machten wir uns dann erst mal daran, das Kuschelpferd zu säubern. Und das dauerte. Auch angetrockneter Schlamm bürstet sich nicht so schnell aus, wie man sich das gerne vorstellen möchte. Zuerst waren wir noch zu zweit am Striegeln, dann kam doch irgendwann der Moment, in dem der Mann nicht mehr so recht stehen konnte, und sich lieber das Sattelzeug nahm und dieses nochmal durchpolierte, während ich weiter das Pferd bearbeitete. Wäre geplant gewesen, dass Kuschelpferdchen mitkommt, hätten wir natürlich auch einen Stallburschen/Pferdeknecht dabei gehabt, wie sich das für einen hochrangigen Offizier eben gehört hätte. Der hatte nun aber so kurzfristig das Wochenende nicht freinehmen können.

Irgendwann war das Pferd wieder vorzeigbar, und wir verkrümelten uns ins Zelt, verjagten zwei Katzen und legten uns schlafen.

*

Der Morgen begann erst mach recht zoologisch, denn diverse Vierbeiner waren offenbar sehr gut drauf geprägt: Menschen in Zelten = Futter. Den Gefallen taten wir ihnen nicht. Der Großteil ließ sich auch gut hinauskomplimentieren, eine graue Katze blieb jedoch stur unter dem Tisch sitzen, mit aufgestelltem Fell, und fauchte sehr unmissverständlich… Ich trat dann mal lieber den Rückzug an.

Die Offiziersbesprechung fand vor dem Frühstück statt. Da dachte wohl jemand, alle, die keine Spanier sind, sind absolute Frühaufsteher. Allgemeine Erheiterung löste es aus, dass die Tafel zum Planen der Schlacht nicht wie übliche ein Black- oder Whiteboard mit Kreide oder Marker war, sondern eine Magnettafel, und die Truppen durch kleine Magnetplättchen dargestellt wurden, die wohl aus dem Geometrieunterricht entwendet worden waren. Die Franzosen waren also die grünen Vierecke und die Briten die roten Kreise… wenigstens was blaues hätten sie uns geben können…

Nach dem Frühstück hatten wir tatsächlich frei – da ja nicht fortlaufend Programm vorgesehen war. Wir nutzten die Gelegenheit, denn Burgos hat ein Buchmuseum. Es ist das Museo del Libro Fadrique de Basilea, recht leicht zu finden. Sollte man sich anschauen, wenn man Bücher mag und durch Burgos kommt. Allerdings: Es ist schon sehr Spanisch… Es wird alles nicht so genau genommen, auch mit dem Beschriften. Faksimile oder Original? Man muss gelegentlich schon selbst etwas Arbeit aufwenden, wenn man wissen will, das man gerade vor sicht hat.

Danach zog es uns noch zur Kathedrale. Wenn ich mich richtig erinnere, ging das sogar mit demselben Ticket.
Ein gotischer Bau, und wie es gotische Gebäude halt so an sich haben, echt ein Wahnsinnsbauwerk. Riesig. Einfach nur alles riesig. Spezielle Beachtung sollte man der Fensterrosette in über dem Haupteingang schenken.

Ja… Das da in der Mitte? Das sieht nicht nur so aus wie ein Davidstern – es ist einer. Das Ornament wurde nämlich durch die jüdische Gemeinde von Burgos finanziert und deswegen so gestaltet.

Ich mag ja mechanisches Spielzeug, Spieluhren, alles, was aufziehbar ist, und so wollte ich auch unbedingt noch bis zur vollen Viertelstunde bleiben und den Papamoscas anschauen. Das ist eine über einer Uhr angebrachte Figur, die immer zur Viertelstunde ein Glöckchen läutet und mit den Zähnen klappert.

Fast hätten wir es dann nicht rechtzeitig zur Parade geschafft… was noch nicht mal daran lag, dass der Herr langsamer lief als üblich, sondern daran, dass wir schlicht den Verkehr unterschätzt hatten.

*

Das Mittagessen gab es für die Offiziere an der Offizierstafel und für uns Helfer „hinter den Kulissen“, was auch ganz gut so war, weil ich nicht so wirklich begeistert vom Angebot war, und sich das quasi auf dem Präsentierteller immer weniger gut macht.

Es folgten dann zwei Stunden Lagerleben, während denen ich größtenteils den Dolmetscher spielte – obwohl mir Dolmetschen ja eigentlich gar nicht liegt. Zum Glück erwartet in dem Zusammenhang niemand, dass es wirklich fließend geht, geschweige denn simultan.
Außerdem kam ich dazu, zahlreiche Fotos von diversen Touristen zu machen, die unbedingt ein Bild von sich mit Uniformierten wollten und jemanden brauchten, der auf den Auslöser drückt.

Es folgte die Schlacht, die hier so aussah, dass die Briten versuchten, unsere Stellung zu stürmen, und wir sie tapfer in die Flucht schlugen. Es war damals in der Tat nicht gelungen, Burgos im ersten Anlauf einzunehmen, und Wellington musste sich zunächst zurückziehen. Das Kuschelpferd trug seinen Menschen brav durch die Schlacht und machte keinen Blödsinn, vom Schlammbad war auch nichts mehr zu sehen.

Der Abend bestand dann aus ruhigem alleine mit den anderen Darstellern und Helfern am Feuer sitzen und unterhalten. Abendprogramm war nicht geplant.

Eine sehr gute Burgaleser Spezialität gab es im Übrigen zum Abendessen: den Queso de Burgos, einen Frischkäse aus Schafsmilch, der wie Pudding in Formen „gegossen“ und gestürzt serviert wird. Man isst den Käse auch nicht auf Brot, sondern schneidet  Scheiben oder „Pizzastücke“ und isst diese belegt – oder mit Honig. Nein, nicht igitt sagen. Frischkäse mit Honig ist in Spanien durchaus üblich, wird auch in Deutschland in Tapasbars serviert und schmeckt erstaunlich angenehm.

*

Den Sonntag finden wir dafür damit an, dass wir fast verschliefen und der Herr sein Frühstück quasi am Einsatzort essen musste, denn für Sonntagvormittag waren nochmal zwei Stunden Lagerleben angesetzt. Diese endeten um 12 Uhr. Danach hatten wir noch ein bisschen Zeit, um unsere Sachen zu packen, die Zelte abzubauen und den Platz zu räumen – wirklich viel Luft war aber nicht eingeplant.

Wir kamen dann auch wirklich nur mit einigen Minuten Abstand zu unserer „Deadline“ vom Platz weg – auf dem Weg zurück zum Flughafen, während das Kuschelpferd es sich bereits wieder im Hänger bequem gemacht hatte und quer durch Frankeich nach Hause gegondelt wurde.

Ah ja… Das erste was ich am darauffolgenden Montag machte war, mich gegen Tollwut impfen zu lassen. Auf dass ich mich das nächste Mal nicht wieder lieber von einem fauchenden Streuner aus meinem eigenen Zelt vertreiben lasse, als einen Zusammenstoß zu riskieren…Das habe ich seitdem auch immer aktuell gehalten.

 


Bilder von Wikipedia.

Fassade der Kathedrale:
Photo taken by Juan García at 2005-05-30 of the Burgos Cathedral at Burgos, Spain
Papamoscas:
Gemeinfrei
Käse:
Aufgenommen von Valdavia

Das Duell fällt wegen Zeitverschiebung aus

Es ist nun nicht so, als hätte ich vor meinem Mann keine Beziehungen gehabt. Irgendwie scheine ich sogar ein Faible für französische Muttersprachler zu haben. Was mit Blick auf mein mangelndes Talent für die französische Sprache doch irgendwie komisch ist.

Einmal war es jedoch ein Spanier. Nennen wir ihn mal Manolo. Die Beziehung endete eher unschön. Also genaugenommen so, dass ich ihm die gepackten Koffer vor die Wohnungstür stellte. Wir waren Studenten, er hatte ein WG-Zimmer, ich eine Wohnung, wir waren vor allem bei mir… nach dem Tag war er jedenfalls nicht mehr bei mir.

Mano verdankte ich damals meine ersten Berührungspunkte mit dem Reenactment. Er interessierte sich für solche Sachen, für mich war das erst mal nur marginal interessant, durch ihn kam ich damals zu den ersten Kontakten mit einer Gruppe – zu der Zeit noch im Bereich Mittelalter.

Die Trennung vertrug er nicht so gut. Vor allem fand er es wohl nicht so recht angemessen, dass das von mir ausging. Er schaffte es also irgendwie, in seinen Erzählungen die Sache umzudrehen. Er sei gegangen, ich verfolgte ihn angeblich. Wir lebten in einer Kleinstadt und hatten sehr ähnliche Interessen – irgendwie hatten wir uns ja mal gefunden. Dass wir bei ähnlichen Veranstaltungen auftauchten, war logisch. Ich fand es nicht weiter tragisch, selbst seine Freunde wussten ja auch, was tatsächlich abgelaufen war. Wenn es ihm mit seiner Fassung besser ging – bitte. Ich hätte natürlich auch gut damit leben können, ihn nicht immer wieder zu treffen, allerdings eher deswegen, weil ich noch ziemlich sauer auf ihn war.

Jahre vergingen, wir machten unseren Abschluss, Mano zog zurück nach Spanien, ich landete schließlich so halb in Belgien, und dank Mann erneut beim Reenactment. Zunächst als Helfer „hinter den Kulissen, dann hatte der Mann irgendwann einen Geistesblitz und bot mir eine Rolle an, die ich kaum ablehnen konnte – definitiv nicht ablehnen wollte.

Das erste Event auf dem ich also im Kostüm in der Schlacht aktiv sein sollte fand in Spanien statt.

„Ah,“ sagte ein ehemaliger Kommilitone und heutiger Kollege, als ich bekannt gab, dass ich das Wochenende über keine Übersetzungen übernehmen könnte und warum. „Da triffst du Mano. Der wohnt jetzt ganz dort in der Nähe, der kommt garantiert.“

Na toll, dachte ich mir, was soll mir das jetzt sagen… wir hatten seit deutlich über 10 Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Was sollte mich das also kümmern? Ich beschloss, selbst wenn ich ihn treffen und erkennen sollte – was ja gar nicht so sicher war – dies einfach nicht zuzugeben. Ich hätte ja auch schließlich zu tun.

*

Wir kamen also an, packten aus, bauten auf, richteten uns im Zelt häuslich ein, gingen zur Vorbesprechung….

Und es dauerte nicht lange, bis ich einem mir doch noch immer erstaunlich gut bekannten Gesicht gegenüberstand. Ich wäre ja nun einfach weitergegangen, aber er meinte, mich direkt am Ärmel packen zu müssen. Schlechte Idee übrigens. Mag ich gar nicht.

Immerhin schaffte ich es, ihm dafür nicht gleich eine runterzuhauen… nur aus „Ich behaupte man einfach, ich kenn‘ ihn nicht“ wurde offensichtlich nichts.

Er legte auch sofort los. Was ich da machen würde, wollte er wissen, warum ich da sei, was das solle, warum ich ihm immer noch hinterherliefe… Oha. Da war wohl jemand nach einer zweistelligen Anzahl von Jahren immer noch sauer, vor die Tür gesetzt worden zu sein. Wahrheitsgemäß murmelte ich was von „Hab‘ zu tun“ und ließ ihn stehen. Zu sagen hatte ich ihm nun wirklich nichts.

*

Mein erster Einsatz „im Feld“ verlief recht unspektakulär – größtenteils hielt ich mich einfach im und beim Chirurgenzelt auf und schaute zu während ich versuchte, so auszusehen, als wäre ich beschäftigt. Ich bekam einen ersten Einblick in die Abläufe und hielt mich später im Lager dann auch eher im Hintergrund, um zu beobachten, wie die Interaktion mit den Besuchern lief. Zwischenrein wurde ich ein paar Mal zum Übersetzen gerufen – Spanisch ist schließlich eine meiner Arbeitssprachen. Eigene Ausrüstung zum „einsetzen“, vorführen und erklären hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Lustig wurde es am folgenden Tag beim Frühstück. Wir saßen an der Tafel im großen Stabszelt, das Lager war eigentlich für die Öffentlichkeit noch nicht geöffnet, und wir waren noch nur so halb in den Rollen, ich vielleicht auch noch nicht so ganz wach.

Die Plane wird zur Seite geschoben und es rauscht eine Person ins Zelt, baut sich in voller Größe vor dem Tisch auf und verlangt, den Chef zu sprechen.

Mehrere Finger und Essbestecke deuten vielsagend auf meinen Mann. Der zieht seinen Kragen zurecht, rutscht von freundschaftlichem Geplänkel direkt in den kommandierenden Offizier und fragt höchst würdevoll nach dem Begehren.

Und Mano legt, auf Spanisch, in voller Lautstärke und Geschwindigkeit los. Die Grundinhalt: Er verlangt, mich aus dem Event zu entfernen und heimzuschicken, schließlich sei ich ja nur da um ihm nachzulaufen, und dieses wiederum sei vollkommen klar und logisch, da mich diese Zeit, die hier gespielt wird gar nicht interessiert, und ich bei der französischen Armee eh nichts verloren hätte, da  ich kein Französisch spreche, usw. usf. In jedem Fall wäre das eine Frechheit, und ich sollte tunlichst umgehend zur Abreise bewegt werden.

Die Blicke der Anwesenden werden immer angestrengter, denn keiner möchte dem Chef jetzt in die Antwort lachen.

Der steht auf, setzt sich höchst würdevoll den Hut auf den Kopf, spaziert halb um den Tisch, bleibt vor Mano stehen und sagt, eine Hand auf dem Schwertgriff und in seinem aller-allerbesten Spanisch: „Señor. Würden uns nicht 200 Jahre trennen, müsste ich euch nun zum Duell fordern.“

Alle Blicke im Zelt sind inzwischen ziemlich starr auf die Teller gerichtet.

Mano verarbeitet den ersten Satz noch, da setzt unser kommandierender Offizier eines drauf:

„… Noch ein Tipp von Mann zu Mann: Hören Sie auf, meine Frau zu ärgern. Sonst müssen Sie sich doch noch duellieren – mit ihr.“

Routenplaner

Am Flughafen. Wir warten, in voller Montur, auf unseren Flug. Der Herr in kompletter Uniform, ich deutlich dezenter, aber auch bereits in „Arbeitskleidung“.

Ein kleines Mädchen tapst immer wieder zwischen dem Sitzplatz ihrer Eltern und uns hin und her, schaut uns an, studiert uns eingehend, läuft zurück, redet mit den Eltern.

Das Spiel wiederholt sich einige Male, dann kommt sie, Papa an der Hand rüber. Sie grüßen freundlich, der Papa ermutigt sie, „selbst zu fragen“.

Die Frage die Kommt: „Wo habt ihr eure Pferde?“

Oh.. die haben wir nicht dabei.

Der Papa erzählt uns, sie wären in diesem Sommer mit Kind auf einem Event gewesen, die bunten Uniformen hätten es ihr sehr angetan, und eben vor allem die Pferde…

Mein Mann, sehr nett, beugt sich vor und erklärt dem Kind: Pferde kann man im Flugzeug leider nicht mitnehmen, denn die passen nicht auf den Sitz, und im Gang wären sie der Stewardess im Weg.

Das Kind nicht verstehend, tapst davon. Kommt wieder. Ziemlich aufgeregt.

Es dauert einen Moment, bis zu uns durchdringt: Das Kind hat sich jetzt in unfehlbarer Kinderlogik zurechtgelegt: Wenn wir mit dem Flieger fliegen und das Pferd nicht im Flieger mitkann… muss das Pferd wohl unten vorauslaufen. (Armes Pferd!) Und, ihr Sorge:
„Wie findet das jetzt hin? Und wenn es sich verläuft?“

Mein Mann kann das Kind beruhigen. Da besteht kein Risiko, meint er. Er hat nämlich, wie er sagt, vor Aufbruch seinem Pferd sein GPS aus dem Auto gegeben.

Ich ging dann mal ganz schnell was zu trinken holen, bevor ich den Kampf gegen das Kopfkino verloren hätte…

Reenactors im Flughafen

Es kommt immer mal wieder vor, dass wir im Kostüm fliegen.

Also: Vor allem mein Mann.

Meine Reenactment-Kleidung überlebt es gut, wenn man sie faltet und in eine Tasche packt. Bei seiner Uniform sieht das etwas anders aus. Die Jacke freut sich nicht unbedingt über das Einpacken, die Stiefel ins unpraktisch, sperrig und riskant zu verpacken und der Hut würde wohl kaum überleben, wenn er nicht separat verpackt würde… er kann also entweder drei zusätzliche Gepäckstücke einchecken und bezahlen, um alle drei Sachen sicher ans Ziel zu bringen, oder sie einfach von vorneherein anziehen.

Natürlich zieht ein Mann in voller historischer Uniform Aufmerksamkeit auf sich.

Die Security-Mitarbeiter sind übrigens erstaunlich cool, was das betrifft. Die fragen bestenfalls, wo es denn hingehen soll oder zu welcher Schlacht wie fliegen. Probleme gab es noch nie. Das Schwert wird kurz in Augenschein genommen, aber natürlich nehmen wir kein echtes Schwert mit an Bord – nicht mal ein nachgemachtes. Das „Schwert“ ist dann lediglich ein Griff, der in der Scheide befestigt wird. Reine Optik, absolut nutzlos.

Kaum hat man sich dann hingesetzt, dauert es nicht lange, bis die ersten Leute um einen herumstehen, Fotos machen wollen, oder klar etwas fragen möchten, sich aber nicht trauen, oder glauben, Leute anzustarren sei weniger unhöflich, als einfach den Mund aufzumachen.

Unterhaltungswert hatte der Herr mittleren Alters, der uns einmal in Frankfurt begegnete.

Er hatte keine Hemmungen, uns anzureden. Genauer gesagt: mich, denn dass ich deutlich besser deutsch spreche dürfte er dem zuvor belauschten Austausch an der Sicherheitsschleuse entnommen haben.

Der Herr im Anzug komplett mit Aktentasche kommt also auf mich zu und sagt ohne „Guten Morgen“ oder ähnlich unnötige Einleitungen, mit dem Daumen auf meinen Mann zeigend: „Wo ham’se ’n das da aufgetrieben?“

Ich schwanke einen Moment zwischen einer freundlichen Informationsgabe und einem unhöflichen Anraunzen, da fällt mir etwas ein, und wie es manchmal so ist, rede ich, bevor ich weiter drüber nachdenke:
„Ach, wissen Sie, mein Bruder studiert höhere Physik, die arbeiten als Studentenprojekt an einer Zeitmaschine, und ‚das da‘ kam beim Testlauf raus. Spricht auch nur altes Französisch. Jetzt bring ich ihn nach Frankreich, damit keiner was merkt.“

Mein Mann schaut sehr gezielt woanders hin und fängt an, mit großen Augen die Anzeigeschilder zu studieren.

Der Herr im Anzug schaut… im ersten Moment komplett überrumpelt, dann legt sich seine Stirn in Falten, ich kann die Zahnräder fast anlaufen hören. Und ich kann euch sagen, sie klingen ziemlich rostig. Er schaut von mir zu meinem Mann, zu mir, zu ihm, zu den Security-Leuten, zu ihm, zu mir…

Und sagt schließlich: „Echt jetzt?“

Ich schieße noch zurück: „Ja, natürlich, was sonst?“ drehe mich um und schnappe mir meinem Mann, der inzwischen weiß, wo wir weiter hinmüssen, um auf unseren Flug zu warten…

Schlacht von Austerlitz – Reenactment (Teil 2)

Fortsetzung von hier

Auch der Samstag blieb trocken.

Erste Amtshandlung des Tages nach Kaffee für mich und Frühstück für den Mann: Ab in den Stall und Pferde sichten. Wenig begeisterte uns die Ankündigung, wir würden ausgebildete Dressur-(Turnier-)Pferde zur Verfügung gestellt bekommen. Weniger wegen „Hilfe, das Pferd ist so teuer“, und mehr deswegen, weil das Gros der ausgebildeten Turnierdressurpferde nicht gerade für Nervenstärke und gutes Benehmen bekannt ist. Das ergibt sich leider aus der eher katastrophalen Ausbildung, die sich nur auf Leistung und nicht auf die Grundlagen konzentriert.

Vor dem Stall stehen zwei Wachen mit Bärenfellmützen – Mitglieder der alten Garde Napoleons.

„Oh“, sagt der Mann, „Ist der Chef schon da?“

Der Soldat schaut ihn ob der Respektlosigkeit finster an, aber er spielt einen der wenigen, die sich das tatsächlich leisten dürfen, also missbilligt er schweigend.

Wir treten ein, sehen Napoleon auch direkt seitlich am Gebäude stehend – ihm gegenüber ein Fernsehteam, das ihm ein Mikrofon unter die Nase hält. Er gibt sein Interview mit sichtbarer Freude. Als Napoleondarsteller muss man sowas schon mögen.

Wir bleiben mal schön aus dem Bild und schauen nach unseren zugeteilten Rössern.

Die werden uns gesattelt übergeben und machen einen angenehm ruhigen Eindruck. Runde um den Platz damit… naja, Dressurpferde müssen sich ja per Definition eigentlich gut lenken lassen. Tun sie auch. Wie sie dann im Gefecht aussehen werden wir sehen… spätestens beim Einexerzieren.

Zumindest schwingt der Mann mal sein Schwert etwas, und das Gefuchtel zumindest stört sein Pferd nicht.

Ich merke mir allerdings eines – nächstes Mal vorsorglich Sporen mitbringen. Manche historischen Sättel machen es einem wirklich schwer, mit dem Bein „ans Pferd zu kommen“ und wirken fast so isolierend wie Westernsättel. Dann hat man entweder eine Verlängerung am Stiefel, oder am nächsten Morgen Muskelkater. Da ich in meiner Rolle meistens nicht reite, spare ich mir das üblicherweise. Hier wurde uns aber mitgeteilt, wer kein Fußsoldat ist und reiten kann bekommt auch ein Pferd, denn die Strecke zum Gefechtsplatz ist etwas länger und soll aus Rücksicht auf den Park nicht mit dem Auto angefahren werden.

Das Wetter ist immer noch trocken, der Himmel grau und dicht bewölkt. Der Mann friert trotz Pelzmantel. Ich nicht, trotz dünnem Segeltuchmantel.

Meistens findet das Einexerzieren so halböffentlich statt – also für das Publikum zugänglich, aber sie müssen schon aktiv da hin wollen, rausfinden wo es ist, und hingehen. Nicht hier. Hier ist es offiziell ausgeschildert und Teil des Veranstaltungsplans. Fußsoldaten, Kavallerie getrennt. Jeweils angesetzt mit einer Stunde.

Zeitgleich finden im Park auch Vorführungen statt – insbesondere unterschiedlicher Fechttechniken. Mehrere Gruppen sind ausschließlich für die Vorführungen angereist und werden nicht an der Schlacht teilnehmen.

Interaktiv wird es auch, denn die Veranstalter haben ein historisches Reitturnier organisiert. Das kann man sich jetzt grob so wie das vorstellen, was wir heute Ponyspiele nennen – nur eben in historischen Uniformen/historischer Kleidung und zumeist auf Großpferden. Ringe werden mit dem Schwert aufgespießt, etc.

Ich freue mich, dass ich die nicht exerzieren muss und Zeit habe, mir die Qualifikationsrunde anzuschauen. Da sind ein paar sehr schöne Pferde mit dabei – und die unseren lässt das Geknalle auch komplett kalt. Sehr schön.

Eines muss ich da direkt mal wieder merken: Vom Pferd aus stresst mich die Masse und das Gewusel wesentlich weniger als zu Fuß. Man ist doch etwas weiter weg, und außerdem hat man ein Pferd direkt bei sich, das hilft immer, so blöd das vielleicht klingt.

Das Mittagessen fällt sparsam aus, aber uns wurde ein größeres Festmahl nach gewonnener Schlacht in Aussicht gestellt. Soweit, so gut… verhungern werden wir jedenfalls nicht, und wer wirklich mehr Hunger hat, kann sich auf dem Markt ja einfach einen Crépe holen. Oder eine Wurstsemmel. Oder Suppe.

Ganz gerne gesehen hätte ich die Vorführung der österreichischen „Jäger“, aber das beißt sich mit dem Schlachtenplan, denn ich muss auf meinen Posten und mich um die Verwundeten kümmern.

Davon haben wir heute relativ wenige, was vermutlich daran liegt, dass der Boden recht kalt ist, und keiner so Recht Lust hat, auf diesem zusammenzubrechen und liegenzubleiben. Das wiederum wäre aber eine Grundvoraussetzung dafür, als Verwundet zu gelten.

Die Schlacht tobt – es sind sehr viele Gruppen da, es ist viel los auf dem Feld. Die Offiziere haben alle Hände voll zu tun, und mein Mann ist nach der Schlacht komplett nassgeschwitzt. Damit friert er natürlich anschließend noch mehr…

Irgendwann auf dem Rückritt zum „Hauptquartier“ reiht sich einer der Offiziere neben mir ein und meint: „Er  legt’s echt drauf an…“

Wer ist „er“ und warum legt er’s drauf an…?

Ich blicke mich um. Da er es zu mir gesagt hat ist „er“ vermutlich mein Mann… der unterhält sich grade mit seinem Kaiser und…naja, ihm ist kalt. Er hat sich die Zügel um das Handgelenk gewickelt und die Hände in den Ärmeln seines Wahnsinnsmantels versteckt. Wenn er meint.

Kurz darauf nimmt er die Zügel dann doch wieder auf, denn ihm fällt ein, man könnte ja mal aus Jux eine kleine Dressurkür hinlegen, wenn man schon das passende Pferd dazu hat.

Wir kommen alle angemessen beeindruckt „zuhause“ an und werden dort tatsächlich mehr als großzügig verköstigt.

Gut gestärkt geht es zurück in die Stadt. Inzwischen ist es finster, man muss schon aufpassen mit den Pferden.

Jetzt dürfen wir aber aufs Rathaus marschieren, wo wir – auch wenn im Original die Schlacht zu dieser Tageszeit schon lange vorbei war – auf letzten Widerstand treffen und es noch einmal zu einem Feuergefecht kommt…

.…das dann nahtlos in ein wunderschönes Feuerwerk übergeht. Ich liebe Feuerwerke, und gut choreographierte erst recht. Meinetwegen hätte es gerne doppelt so lang sein dürfen. Mündungsblitze am Boden, Feuerwerkssterne im Himmel – interessante Kombination.

Abendessen gibt es zu Hause, immer noch im Kostüm und „in character“, ein paar Stunden später.

Unser Gastgeber hat noch ein ganz besonderes Angebot für uns…

…und so stehen wir am nächsten Morgen früher auf, als wir müssten.

Danke-ich-frühstücke-nicht hat er nicht vergessen, aber meinen Kaffee bekomme ich stark und schwarz.

Tja, und dann geht es zurück aufs Pferd… aber nicht alleine, denn heute morgen dürfen wir den Falken beim üben zusehen. Wahnsinn, diese Vogel. Noch mehr, einen davon mit auf dem Pferd zu haben, oder starten zu lassen, oder wieder landen zu lassen… Einfach nur wow. Sprachlos. Immer noch. Mamagei und Papagei sage ich das lieber nicht, nicht dass die noch eifersüchtig werden…

Nach unserem kleinen Ausflug in die Falkenjagd nehmen wir uns noch die Zeit für das, was das ganze Wochenende über nicht geklappt hat – eine Führung durch Schloss Slavkov, bzw. das Museum dort.

Und dann geht es auch, das Mittagessen in Form belegter Brote in der Tasche, schon wieder auf die Heimfahrt. Definitiv ein Wochenende, das man nicht so schnell vergisst.

Schlacht von Austerlitz – Reenactment (Teil 1)

Meistens sind ja nur die „runden“ Jubiläen richtig groß angelegt. In den Jahren dazwischen fallen die Schlachten und das Programm darum herum eher handlich aus.

Slavkov u Brna hat jedoch auch zum unrunden Jahrestag die großen Geschütze ausgepackt. Das war schon beim Blick auf das Programm klar, das von Donnerstag bis Samstagabend gehen sollte.

Nun, den Donnerstag mussten wir gleich mal ausfallen lassen. Der Herr konnte der Arbeit nicht fernbleiben. Der Tag Verspätung war allerdings nicht ganz so tragisch – vielen anderen ging es auch nicht anders, und wir waren beileibe nicht die letzten Ankömmlinge.

Ich werde mal wieder dran erinnert, dass ich Zugfahren eigentlich nicht ausstehen kann. Bei unserer letzten Umsteigestation nuschelt der Mann was vor sich hin.
„Wolltest du nicht ’ne Tüte Vokale mitbringen?“ frage ich ihn. Es ist ein ewiger Witz zwischen uns, dass das Französische dem Tschechischen und dem Polnischen ja mal ein paar Vokale spenden könnte, wo es doch so viel mehr schreibt als es zur Aussprache benötigt.

„Es. Ist. Arschkalt.“

Er kriegt es fertig, in dem Satz sehr artikuliert ganze drei Sprachen zu mischen, aber offenbar bringt nur das Deutsche die Temperatur angemessen zum Ausdruck. Und ich finde das noch nicht mal. Eigentlich ist es bestenfalls angenehm kühl… Da Temperaturwahrnehmung aber so eine Sache ist, weise ich nur kurz darauf hin, dass uns nur ein paar Grad von der Originaltemperatur trennen, und ganz ehrlich? Niederschlag bei null Grad ist Niederschlag bei fünf Grad fürs Reenactment definitiv vorzuziehen.

Wir kommen an… am liebsten würde ich jetzt erst mal eine große Runde durch die Stadt drehen, frische Luft schnappen und mich einigermaßen in Ort und Zeit orientieren, denn beides verliere ich bei Zugfahrten, und insbesondere bei internationalen Zugfahrten finde ich dann den Übergang von einer Sprache zur anderen schrecklich stressig. Vom Gefühl her etwa so, als würde *plötzlich* und ohne Grund jeder um mich herum nur Kauderwelsch sprechen.

Dass mein Tschechisch gerade reicht, um nicht zu verhungern, hilft auch nicht gerade.

Wir werden aber von unserem Gastgeber eingesammelt und in einer lustigen Mischung aus Deutsch, Englisch, Französisch und Tschechisch in unser Quartier gebracht. Gastgeber und Familie halten, wie sich herausstellt, Vögel. Keine Papageien und Sittiche, sondern „Arbeitsvögel“. Lies: Jagdfalken, Eulen und Raben, letztere als Partner für Mittelaltermärkte und Reenactments. Im Haus lebt noch ein sehr gesprächiger Beo. Er entschuldigt sich schon mal im Voraus für den Vogel. Seit die Kinder in der Pubertät waren, sagt er, flucht und schimpft der ganz schrecklich.

Vielleicht ist es ganz gut, dass wir den Beo nicht wirklich verstehen, denn zu sagen hat er eine Menge zu uns.

Nachdem ich zum Ausdruck gebracht habe, dass ich selbst Vögel halte, bekommen wir auch noch einen Rundgang zu diesen, bevor es ein spätes Mittag- oder sehr frühes Abendessen gibt.

Dann heißt es Umziehen, für meinen Mann allerdings erst mal nicht in Uniform sondern in Zivil, denn „unsere“ Armee hat heute noch nichts zu melden, und in der Stadt auch eigentlich nichts verloren. Für mich kein Problem, ich trage eh keine Uniform. Und der Mann wusste es ja vorher und hat Zivilkleidung mitgenommen. Die hat auch nicht weniger Lagen als die Uniform, umfasst aber statt der Uniformjacke Mantel und Cape. Der Zweispitz mit der Feder weicht einem normalen Hut.

So mischen wir uns unter’s Volk und schauen zu, wie die Alliierten einziehen und in aller Ruhe das Stadtzentrum besetzen. Sie haben’s nicht besonders eilig – sind ja fast keine Franzosen da.

Wir haben sogar noch Zeit, um über den Weihnachtsmarkt zu gehen und festzustellen, dass wir nichts brauchen, die Stimmung aber sehr nett ist, bevor es zur Planungssitzung geht.

Die ist schon irgendwie lustig, so ganz ohne Uniformen. Nur Napoleon selbst lässt sich die seine nicht nehmen.

Für den nächsten Tag sind zwei Schlachten geplant – eine „richtige“ im Feld und eine angedeutete nach Einbruch der Dunkelheit vor dem Rathaus, direkt übergehend ins große Feuerwerk. Schön. Ich liebe Feuerwerk!

Die Sitzung endet damit, dass der Kaiser seine Offiziere zum Umziehen schickt – den Rest des Abends sollen sie dann doch in Uniform bestreiten. Der Mann geht also brav die Gewandung wechseln, während ich mir einfach noch zwanzig Minuten Ruhe nehme und an der frischen Luft etwas Energie tanke.

Die Herren kehren uniformiert zurück, gerade rechtzeitig um sehr unhistorisch der Ankunft von Kaiser Franz und Zar Alexander beizuwohnen. Bonaparte darf sich ebenfalls sehr unhistorisch dazugesellen. Man ist ja nicht wirklich im Krieg.

Kurzes Palaver, und ab geht’s ins Schloss Slavkov, wo die grässlichste aller Reenactmentveranstaltungen stattfinden soll: der Offiziersball.

Diese gibt es bei Reenactments öfter mal, und ich bin heilfroh, dass meine Rolle keine aktive Teilnahme erfordert. Ich tanze weder gern noch gut und erst recht nicht mit Fremden. Mein Mann tanzt angemessen gut aber nicht besonders gern, und es ist ihm durchaus anzusehen, dass er sich auch lieber zu mir ins „Publikum“ setzen möchte.

Das kommt aber gar nicht in Frage, denn die Dame, die die Frau seiner jeweiligen Figur spielt, ist ebenfalls anwesend –und die wiederum tanzt sehr gerne und strahlt über’s ganze Gesicht. Als guter „Ehemann“ muss er sich also in sein Schicksal fügen und erst mal die Pflichttänze abarbeiten. Also, ich muss ja sagen – ich tanze zwar nicht gern, aber ich sehe ihm durchaus gerne dabei zu, vor allem so in Uniform…

Das Schloss beinhaltet ein Museum, das der Schlacht gewidmet ist. Eigentlich hatte ich ja gehofft, mich zwischenrein mal davonschleichen und mir dieses anschauen zu können – es hat den ganzen Abend über geöffnet – aber da machen mir ein paar Österreichische und Russische „Kollegen“ einen Strich durch die Rechnung, die an meinem Tisch landen und mir glatt ein Gespräch aufdrängen. Wenigstens kommen wir zügig auf ein angenehmes Thema, und so lässt es sich dann mit ausreichend Kaffee aushalten, bis die Musikanten das letzte Lied spielen, der letzte Tanz zu Ende ist, und wir uns ins Quartier zurückziehen können, um morgen hoffentlich wach und munter in den Schlachttag zu starten.

Belagerung von Badajoz – Reenactment (Teil 3)

Fortsetzung von hier

Das Mittagessen findet sich in Form von Kartoffelsuppe aus dem großen Topf. Ich tunke Brot rein, um mir etwas Textur zu basteln. Schönes, knuspriges hausgebackenes Brot, das ich eigentlich auch ohne Suppe essen würde, aber erst gesehen habe als die Suppe schon im Teller war.

Kurzer Blick aufs Handy – keine Hilfsanforderungen bislang, also habe ich Zeit. Wie oft auf diesen Veranstaltungen gibt es eine Sammlerbörse. Ich werfe mal einen Blick drauf und finde tatsächlich einen Steingutkrug mit Wellington-Motiv. Zu Wellington gab es nämlich tatsächlich zu seinen Lebzeiten schon Fanartikel, und dort ist üblicherweise sein bei Erscheinen gerade aktueller Titel oder Rang mit angegeben. Hier steht ganz klar: Viscount Wellington. Damit datiert das Stück zwischen August 1809 und Juli 1812, also genau der Zeitraum in den unsere heutige Schlacht fällt.

Zwanzig Minuten drauf bin ich glücklicher Besitzer eines neuen alten „Atty“, wie wir die Objekte aus meiner Sammlung gerne nennen. Ich nehme dem Händler noch sein Verpackungsmaterial mit ab und wickle es wieder schön ein, bevor ich es bei unserem Ausrüstungsfahrer abgeben will, damit der es mir mit heim nimmt.

Der allerdings hat andere Vorstellungen und meint erst mal ganz trocken „Nee, das fährt nicht bei mir mit.“

Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt ein Witz sein sollte, weil ich den Befehlshaber der Engländer mit der französischen Ausrüstung mitschicken will, aber es stellt sich heraus: er meint es durchaus ernst. „Wenn das unterwegs kaputt geht, reißt du mir den Kopf ab,“ sagt er.

Äh… dann sollte es eben unterwegs nicht kaputt gehen. Dafür, das Ding im Handgepäck mit zurückzufliegen, ist es nämlich zu groß, und am Samstagnachmittag in Spanien einen Kurierdienst finden ist auch nicht so einfach. Wir verbleiben so, dass wir uns später nochmal drüber unterhalten, und ich bringe das gute Stück erst mal in unser Quartier.

Die Briten stellen langsam ihre kleinen Feierlichkeiten zum ersten Sieg ein und bereiten sich auf die Erstürmung der Stadt vor. Ich begebe mich entsprechend zu meinen Kollegen. Wir geben unserem Lazarett den letzten Schliff. Durch die Situation mit der Schlacht in der Stadt werden wir wohl keine direkten Zuschauer haben, dafür stehen wir nach der Schlacht für Fragen und Vorführungen zur Verfügung. Außerdem sollen die Angreifer ja auch in unser Gebäude eindringen, also muss nochmal sichergestellt werden, dass nichts Zerbrechliches an riskanten Stellen steht. Wir hängen alle an unserer Ausrüstung und es könnte ja jemand meinen, die Tür „eintreten“ zu müssen.

Von den Ansagen und Ankündigungen bekommen wir gar nicht so recht was mit. Das erste, das wir von der Schlacht hören, ist Musketenfeuer. Gar nicht mal so unrealistisch. Von der Schlacht selbst bekommen wir nichts mit, wohl aber von den „Verwundeten“, die bei uns angeliefert werden.

Die Einnahme des Gebäudes beschränkt sich dann doch auf den Vorraum, der von draußen durch ein größeres Tor noch einsehbar ist. Das stört uns nicht weiter und wird ignoriert. Das Ende der Schlacht verpassen wir dementsprechend auch, weil wir mit der Arbeit noch nicht fertig sind.

Als ich dann nichts mehr zu tun habe und mal eben nach draußen schaue, komme ich gerade rechtzeitig zu einem eher witzigen Anblick: Mein Mann kommt angeritten, Zügel und Schwert in der Linken, und mit der Rechten „unseren“ Photographen am Kragen bzw. an der Schulter seines Hemds haltend und „mitschleifend“. Das Ganze sähe etwas überzeugender aus, wenn sie nicht beide breit grinsen würden und offensichtlich Spaß hätten.

Wir werden auch nicht lange im Dunkeln darüber gelassen, was hier „vorgefallen ist“: Der Photograph, wird uns erzählt, hat sich irgendwoher eine Duellierpistole gegriffen und versucht, damit den unliebsamen Besatzer in französischer Uniform zu erschießen. Die Pistole hatte wohl Ladehemmungen (vielleicht ist es aber auch einfach nur eine Attrappe…), und der Angegriffene verteidigte sich mit gezogenem Schwert, was vom Pferd aus relativ gut geht… Nun möchte er dem „Verteidiger“ aus der spanischen Bevölkerung gerne ein Stück Ohr abgeschnitten haben.

Dieser lässt sich auch sehr gutmütig „verarzten“, und kann von Glück sagen, dass das „Blut“, das ihm jetzt auf den weißen Kragen getropft ist, in der Waschmaschine wieder rausgeht. Er freut sich jedenfalls sehr, nun „richtig“ mitgespielt zu haben.

Nachdem die Schlacht vorbei ist, fängt die wirklich anstrengende Zeit an, denn nun kommen die Zuschauer mit ihren Fragen, und es steht kein Mittagessen „vor der Tür“, das sie relativ schnell wieder ablenkt. Wir sind also erst mal ganz gut beschäftigt. Ich bin immer wieder überrascht, wie gut doch die Kommunikation klappt, egal, in welchem Land man gerade ist. Irgendjemand ist immer da, der nach Bedarf dolmetschen kann. Im Zweifel ich, obwohl ich ungerne dolmetsche.

Irgendwann ist es dann soweit, die Gesellschaft verläuft sich so langsam, es kommen erst weniger und dann gar keine Besucher mehr.

Wir räumen auf und sammeln uns so langsam in unseren jeweils zusammengehörenden Grüppchen um den Tag ausklingen zu lassen. Wir im Speziellen begeben uns dazu dann ins Lager der Briten, den dortigen Kommandanten nochmal zur gewonnen Schlacht gratulieren. Der Abend ist recht mild, und in Gedanken an die Temperaturen zu Hause sitzen wir dann noch bis gut nach Mitternacht am Lagerfeuer … womit sich auch die Frage nach dem Abendessen von selbst erledigt.

*

Auch am Sonntagvormittag zieht es uns nochmal zurück ins Lager des „Feindes“, denn Badajoz wäre eben nicht Badajoz, wenn es keine Hochzeit gäbe. Im Gegensatz zu damals dürfen heute eben auch die „Feinde“ mit teilnehmen.

Wir kommen fast zeitgleich mit den beiden spanischen Damen an, die bei der britischen Armee um Schutz für die Jüngere bitten – und ich bin absolut nicht überzeugt von der Darstellung der Juana, aber was bringt es, sich darüber zu beschweren?

Ich schaue mir die Show also mit an, bedauere es aber kein bisschen, dass wir relativ bald los müssen, um unsere Sachen zu packen und uns auf den Rückweg nach Madrid zu machen – bevor mich jemand fragen kann, wie/ob es mir gefallen hat. Am diplomatischsten bin ich immer dann, wenn ich mich gar nicht erst äußern muss.

Der Mann fängt allerdings auch an, kopfschüttelnd zu lachen, kaum dass wir das Lager verlassen haben, also bin ich wohl nicht ganz so alleine gewesen in meiner Meinung. Auch nicht schlecht zu wissen.

Die Rückreise verläuft glatt und unproblematisch, ohne besondere Vorkommnisse.

Ah, und mein Krug… fuhr natürlich doch mit unserem Gepäck, und kam tatsächlich unbeschädigt an. Die kleinen Defekte am oberne Rand sind dem Alter geschuldet und waren bereits vorhanden.

krug

Belagerung von Badajoz – Reenactment (Teil 2)

Fortsetzung von hier

Samstag, Morgen bis Mittag

Ich bin kein Morgenmensch , ohne Kaffee erst recht nicht, aber immerhin hatte unser Quartier einen solchen. Der Mann war sogar schon wach und hatte mir eine Tasse reserviert. Ich trinke meinen ersten Kaffee des Tages durchaus auch lauwarm oder kalt, zu Hause auch häufig in Form des Rests von gestern…damit hole ich mir dann gerade genug Energie, um mir einen neuen zu machen.

Zugegeben, seit dem Kaffeevollautomaten (zusammen mit dem Roomba die beste Anschaffung der letzten Jahre!) ist das nicht mehr wirklich notwendig, Knöpfchen drücken kann ich auch im Halbschlaf, aber Gewohnheiten sterben langsam.

Auf jeden Fall kippe ich also eine Tasse nur noch mittelwarmem Kaffee runter, zur Überraschung der Gastgeber, und verziehe mich dann nochmal, um meine Tasche zu sortieren und sicherzustellen, dass alles da ist. Denn natürlich habe ich zu meinem Feldchirurgen eine historische Arzttasche mit Inhalt, und während ich die zwar nicht tatsächlich am Patienten zum Einsatz bringe, muss man doch öfter mal interessierten Zuschauern erklären, was da was ist, was man damit macht, wie, warum, seit wann, und wie das heute so ist. Das geht deutlich besser, wenn man in der eigenen Tasche auch wirklich was findet. Tunlichst auf den ersten Griff und ohne Hinschauen.

Bis ich damit fertig bin, ist der Herr fertig gestriegelt und rasiert… so richtig mit Schaum und aus- und einklappendem Messer, wir leben schließlich gerade das neunzehnte Jahrhundert aus. Zumindest, wenn es nicht um die Kaffeemaschine geht. Das mit dem Rasieren bekommt er in der Tat auch hin, ohne dass der Feldchirurg gleich eingreifen müsste. Eigentlich erstaunlich, da er Verletzungen sonst eher magisch anzieht.

Wären wir irgendwo im Lager, hätten wir das Führstück alle zusammen im oder vor dem Messezelt oder im oder vor dem Zelt des Befehlshabers eingenommen. So frühstückt jeder für sich in seinem Quartier, und es finden sich dann alle Koordinatoren langsam bei der Besprechung ein. Die meisten Leute reisen ja doch in Gruppen an, oft in Form einer speziellen Kompanie, und es wird dann ein Vertreter abdelegiert.

Wir gehen also kurz den Plan für die erste Schlacht durch. Wie gesagt: Keine historische, sondern nur was fürs Publikum. Es geht darum, in 45 bis 60 Minuten möglichst viel zu zeigen – unterschiedliche Formationen – Kolonne, Karree, Linie –, Kavallerie vs. Fußsoldaten, Artillerie (wie wird so ein Ding benutzt, und was tut man dagegen?), am besten mit Gelegenheit, das Laden der Musketen gut sichtbar vorzuführen. Es ist erstaunlich schwer, das alles zu planen, wenn man bedenkt, dass es in den meisten nachgestellten Kämpfen tatsächlich ganz von selbst vorkommt.

Der zweite Kampf, nachmittags, soll die Erstürmung der Festung darstellen. Beginnend mit dem Überwinden der Mauer wird in einigen Straßen und Plätzen gekämpft. Auch ein paar Gebäude sollen eingenommen werden. Eines davon wurde uns als Lazarett zugewiesen. Die Auswahl erfolgte hier danach, wo man am besten Publikum platzieren kann, die Leute wollen ja was sehen – und das ist bei Straßenkämpfen sehr schwer. Entsprechend ungern haben wir diese. Wir hatten auch noch keine Gelegenheit, uns die Stellen bei Tageslicht (oder eigentlich überhaupt) anzusehen, und arbeiten aktuell nur mit den erhaltenen Plänen.

Nachdem also abgesprochen wurde, wer sich wann auf dem Feld einfindet, wer sich wo aufstellt und wer danach wen wie wo angreift, ist noch kurz sicherzustellen, dass nach dem Kampf unser Lagerersatz durchgängig ausreichend besetzt ist. Zwar haben wir, der Belagerungssituation geschuldet, kein „echtes“ Militärlager, wohl aber einen Teil des Platzes, auf dem der obligatorische historische Markt stattfindet, um dem Publikum Rede und Antwort zu stehen, kleinere Sachen vorzuführen, unser Mittagessen zu kochen – das Frühstück wird meist vom Organisator gestellt, für weitere Mahlzeiten sind die Teilnehmergruppen oft selbst verantwortlich.

Dann ziehen die Teilnehmer in Gruppen ab, um sich ihre Schwarzpulverzuteilung zu holen – nicht ohne noch einmal ermahnt zu werden, sich dieses gut einzuteilen, denn es muss für beide Schlachten reichen. Schwarzpulverausgabe ist genau einmal am Tag, und wenn es weg ist, ist es weg.

Die Artillerie verzieht sich aufs Feld, die Kanonen testen – Reenactmentkanonen sind auch nur Kanonen und leiden manchmal unter denselben Problemen wie ihre historischen Vorbilder. Es soll ja nun aber jede stattfindende Explosion gezielt ablaufen, und wenn zwischenrein eine Kanone ungeplant verstopft und nicht mehr zündet, kommt das für die Schlacht auch eher ungünstig – auch wenn es das Publikum gelegentlich recht witzig findet.

Zu dem Zeitpunkt taucht auch erstmalig der lokale Photograph auf, der uns den Rest des Tages immer mal wieder auflauern wird. Ich mag ja nicht gerne photographiert werden, und die Herrschaften mit den Kameras respektieren dies zumeist auch. Im Hintergrund mal mit drauf sein lässt sich nicht vermeiden, und Privataufnahmen irgendwelcher Besucher auch nicht, aber gut…
Mein Mann hat dieses „Problem “ nicht und posiert mal schnell für die ersten Photos des Tages..

Wir stellen dann nur noch schnell sicher, dass mein Handy erreichbar ist. Eine Sache, die ich verweigere, ist der Knopf im Ohr. Ich hasse Kopfhörer und ich hasse die Ohrsteckerknöpfe fast noch mehr. Nein, kein Headset für mich. Wenn mich jemand braucht, werde ich eben ganz anachronistisch mein Handy aus der Tasche nehmen müssen. In dem Wissen, dass er mich anfunken kann, wenn er mich braucht, trennen sich dann unsere Wege. Er holt sein Schwarzpulver, sein Pferd und wird mit „Philippon“ den Kampfplatz inspizieren (Der Oberbefehlshaber ist häufig zu sehr mit seiner Rolle beschäftigt, um gleichzeitig die Koordination machen zu können. – Außerdem muss Philippon ja in der zweiten Schlacht verschwinden und aus der Stadt fliehen… da wäre dann nicht mehr so viel mit Koordination).

Ich schließe mich derweil schnell mit den anderen Chirurgen kurz und suche mir dann den Weg ins englische Lager, um mich da mal umzuschauen. Vor der Schlacht mischen sich die beiden Seiten üblicherweise eher weniger, bzw. nur in den Koordinationstreffen. Da ich in meiner Position aber keine Uniform trage, stört sich niemand dran, dass ich doch schon vorbeischaue.

Etwas lachen muss ich über die Frau in vollem Kostüm, die ein Pferd in vollem Kostüm Gassi führt wie ein Hündchen. Vor meinem inneren Auge hebt das Tier am nächsten Baum das Bein. Vor meinen äußeren Augen natürlich nicht, aber es scheint seinen Spaziergang sehr zu genießen.

Die Briten und die Portugiesen sind tatsächlich mit Vertretern aller relevanten Truppen angereist: portugiesische Uniformen, britische Redcoats und die grünen Uniformen der Rifle Brigade sieht man. Sir Thomas Picton, der zu Waterloo seine Männer in Abendgarderobe und Zylinder statt in Uniform befehligte, ist auch sehr gut getroffen dargestellt–ob der Mann, der ihn spielt, nun von selbst so gerne flucht oder das für die Rolle extra einstudieren musste, lasse ich mal dahingestellt. Er gibt jedenfalls einen sehr überzeugenden und nicht zu überhörenden Picton ab, wie er gerade seine Männer zusammenstaucht.

Die Soldaten ziehen dann Kompanie für Kompanie ab zum Einexerzieren. Es müssen schließlich um die zweihundert Menschen, von denen die meisten noch nie zusammen „gekämpft“ haben, gleich gemeinsam eine Schlacht schlagen, und dabei aussehen, wie eine eingespielte Armee. Um da im Vorfeld etwas zu üben, bekommt jede Seite einen Exerzierplatz zur Verfügung gestellt, und kann dort etwas üben. Wie viel davon wirklich stattfindet und was genau gemacht wird, ist den jeweiligen Befehlshabern selbst überlassen.

Ich lasse mir Zeit, um auf den Gefechtsplatz zu kommen. Schließlich müssen wir uns nicht großmächtig aufstellen. Wir haben ein Lazarettzelt. Was dort drinnen vor sich geht, sieht von außen keiner. Davor ist ein Tisch aufgestellt, auf dem für das Publikum mal etwas Verwundetenbehandlung gezeigt werden kann. Amputationen wird es heute nicht geben, da wir keinen Reenactor mit abnehmbaren Körperteilen dabei haben.

Die Zuschauer finden sich fast zeitgleich mit den ersten Soldaten ein, die im Feld aufmarschieren und Aufstellung nehmen. Die Schotten tuten etwas auf ihren Dudelsäcken, die Flötisten flöten und die kleinen Trommler geben sich redlich Mühe, den Takt zu halten. Einzelne Offiziere galoppieren ihre kostümierten Pferde mal um den Platz – weniger zum Aufwärmen und mehr, damit das Publikum schon mal was zu sehen hat. Die Ansage beginnt, der Ablauf wird ab nun kommentiert.

Da man sich das Fluten und Verminen des Geländes vor der Stadt gespart hat, muss auch keine aufpassen, wo er hintritt.
Die Schlacht beginnt. Wir haben erst mal nichts zu tun als zuzuschauen. Musketen sind ziemlich laut, rauchen und stinken. Erstaunlicherweise gewöhnt man sich tatsächlich an den Geruch. Kanonen sind noch lauter und rauchen noch stärker. Das Schlachtfeld liegt schnell unter Nebel, man kann nur noch mit Mühe sehen, wer gerade was macht – umso wichtiger ist sowohl die vorherige Koordination als auch die Sache mit den Headsets, man will ja nicht aus Versehen mal einen Trupp Kavallerie in eine Linienformation reiten.

Das Ganze geht so etwa fünfzehn Minuten mit Schussabtausch und Kommentar, dann werden die Pferde nach hinten abgezogen. Das ist notwendig, damit vorne gestorben werden kann. Eine relativ wichtige Regel: Solange die Kavallerie oder berittene Offiziere im Feld sind, stirbt keiner. Heißt, es darf niemand auf den Boden fallen und dort liegen bleiben. Pferde treten zwar nicht freiwillig auf einen liegenden Körper, aber ein Restrisiko des Durchgehens besteht selbst bei gut ausgebildeten Pferden immer. Außerdem sind die Sichtverhältnisse durch den Schwarzpulverrauch wirklich sehr schlecht, und das Pferd sieht unter Umständen gar nicht so genau, worauf es tritt. Gestorben wird daher also nur während vorgegebener Zeitfenster, während derer niemand durchs Bild reitet.

Ab da habe ich dann auch zu tun – zum einen werden vor dem Zelt immer zwei bis drei „Verwundete“ versorgt , zum anderen werden im Zelt die angetragenen Verwundeten soweit dekoriert, dass man ihnen die Verwundung anschließend auch abnimmt. Da wir noch eine Schlacht vor uns haben, halten wir uns etwas zurück. Auch Theaterblut hinterlässt nämlich böse Flecken, die man nicht mal einfach so im Feld rauswaschen kann.

Sobald man im Einsatz ist, merkt man eigentlich kaum mehr, wie die Zeit vergeht. Plötzlich wird es still draußen, und die verbleibenden Soldaten marschieren wieder auf. Die Fahnenbandverleihung findet zwar normalerweise erst am Ende der letzten Schlacht statt, da aber in der Nachmittagsschlacht aus Platzgründen nicht alle Gruppen mitmachen können, gibt es bereits eine kurze Vergabe für die anderen.

Dann dürfen die Zuschauer aufs Feld, um sich mit den siegreiche und den verlierenden Soldaten und Offizieren photographieren zu lassen. Bei uns schauen nur wenige Neugierige vorbei, das ist normal. Die Chirurgen wurden im echten Krieg damals auch etwas unter-gewürdigt. Passt also. Dennoch können wir erst einpacken, wenn sich das Publikum in Richtung Mittagessen verstreut.

Langsam habe ich durchaus auch Hunger, gegen ein Mittagessen wäre nichts einzuwenden…