Die Rauhnächte sind in der Tradition mit der ich aufgewachsen sind, zwölf Nächte um den Jahreswechsel, beginnend mit der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember und endend mit der Nacht vom 5. auf den 6. Januar. Regional sind Beginn und Ende sowie Dauer etwas unterschiedlich.
Ich komme, wie in hin und wieder bereits erwähnt, aus einem katholischen Haushalt. Allerdings ist meine Familie genau das, was Bruno Jonas in seinem Buch „Gebrauchsanweisung für Bayern“ beschreibt. Man bezeichnet es auch gelegentlich als Bayrisch-Katholisch, wobei ich ohne nachzusehen, nicht sicher bin, ob der Begriff bei Herrn Jonas so vorkommt. Die Beschreibung jedenfalls tut es: Katholizismus, gemischt mit einer gesunden Portion Volksbrauch und Volksglauben. Man kann ja nie wissen, ob die damals nicht doch Recht hatten, nicht wahr?
Die Rauhnächte sind eine Zeit, in der unsere Welt und die „nächste“, die Anderwelt, wie immer man sie nennen möchte, etwas näher beieinander sind als sonst. Diese Eigenschaft teilen sie sich je nach Tradition mit den Sonnwendtagen, den Tag-Nacht-Gleichen, und den Tagen genau auf halber Strecke zwischen diesen.
Während es für die Bezeichnung Raunacht oder Rauhnacht mehrere mögliche Ableitungen gibt, ist der Ursprung relativ eindeutig zu bestimmen:
Er dürfte in einer alten Zeitrechnung liegen, die auf dem Mondkalender basierte. Dieser hat 354 Tage. Um nun den Kalender mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bringen, und nicht die Jahreszeiten durch die Monate tanzen zu lassen, muss man die fehlenden Tage irgendwo unterbringen – und das sind eben genau elf Tage – oder zwölf Nächte. Unsere Rauhnächte, die „außerhalb der Zeit“ (also außerhalb des Kalenders) liegen. Solche Tage zum Auffüllen des Mondkalenders werden allgemein auch als „tote Tage“ bezeichnet.
Diese Auffassung wird übrigens auch dadurch gestützt, dass wir diese Tage, selbst wenn uns die Bezeichnung oder Bedeutung der Rauhnächte nicht bekannt ist, gelegentlich als die Zeit „zwischen den Jahren“ bezeichnen. Genau das dürfen sie einmal gewesen sein.
Heute finden wir Verweise auf diesen besonderen Zeitraum auch dort, wo die Rauhnächte an sich kaum eine oder gar keine Rolle spielen – etwa in den Twelve Days of Christmas im angelsächsischen Raum.
Die Rauhnächte sind also ein Zeitraum, in der wir dem Anderen etwas näher sind. Als solche sind sie von jeher besonders gut für alles geeignet, das einen Kontakt zur Anderwelt erfordert. Kontakt mit den Verstorbenen; Wahrsagen; Geisterbeschwörung; Magie.
Andersherum öffnet sich die Tür auch in unsere Richtung. Je nach Tradition durchgehend oder lediglich in der mittleren Nacht – der Silvesternacht – haben Geister und tote Seelen freien Zugang zu unserer Welt. Warum machen wir zu Silvester so viel Lärm, mit Böllern und Feuerwerk? Um die bösen Geister zu erschrecken und abzuhalten, natürlich, die in dieser Nacht in unsere Welt strömen und sich nach einem guten Platz umsehen, um ihr Unwesen zu treiben!
Es heißt, Tiere könnten in den Rauhnächten in Menschensprache kommunizieren.
Die Wilde Jagd, angeführt von Odin selbst, bricht – erneut nach Tradition unterschiedlich – in den Rauhnächten oder speziell in der Silvesternacht – auf und macht sich auf den Weg zu einer neuen Runde. Deswegen sind in den Rauhnächten auch keine weißen Laken zum Trocknen aufzuhängen. Die Wilde Jagd könnte sie im Vorbeireiten mitnehmen und im Lauf des Jahres zum Totentuch für den Besitzer umwandeln. Eigentlich sollte man das Wäschetrocknen auf der Leine komplett bleiben lassen. Die Wilde Jagd findet es nicht lustig, wenn sie sich in den gespannten Schnüren verfängt.
Wie erwähnt – auch zum Wahrsagen eignen sich die Rauhnächte hervorragend, und auch das hat sich natürlich erhalten. Wir benutzen die Silvesternacht ja immer noch gerne zum Orakeln, auch wenn es sicher die Wenigsten ernst nehmen.
So… und weil ich die Rauhnächte mag, und gerne mit euch teilen möchte, werde ich versuchen, in den nächsten zwölf Tagen zwölf thematisch passende Geschichten aus der Tradition meiner Heimatgegend mit euch zu teilen.
Sigrid Früh: Rauhnächte. Märchen, Brauchtum, Aberglaube, Verlag Stendel, Waiblingen, 1998
Jacob Grimm: Deutsche Mythologie, 1835
Bruno Jonas: Gebrauchsanweisung für Bayern, Piper Taschenbuch, 2007
Rudolf Kleinpaul: Die Lebendigen und die Toten: Volksglauben, Religion und Sage, G. J. Göschen’sche Verlagshandlung, Berlin/Leipzig, 1898