Ja… wie war das also nun mit der Synchronisation?

 

Nochmal kurz zur Erinnerung:

 

Deutschland synchronisiert

Italien synchronisiert

Spanien synchronisiert

England untertitelt

Frankreich untertitelt

Die Niederlande untertiteln

 

(Kurze Ergänzung: Ich befasse mich hier ausschließlich mit der Filmübersetzung in West- und Mitteleuropa. Die osteuropäische Tradition der Synchronisation funktioniert anders und hat auch eine andere Geschichte. Dazu vielleicht ein andermal mehr.)

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Irgendwann fing das mit der Synchronisierung ja mal an. Denken wir also zurück.

Am Anfang war der Stummfilm. Der Beginn des Stummfilms wird gerne auf 1878 festgesetzt. Der Stummfilm war etwa 40 Jahre lang der Stand der Technik. Wahnsinn, wenn man sich überlegt wie schnell sich heute die technischen Neuerungen jagen. Könnt ihr euch noch vorstellen, 40 Jahre lang die gleiche Computertechnik zu benutzen? In den ersten Jahren war der Stummfilm eine Spielerei, ab kurz vor 1900 gab es dann das Kino. In den nächsten Jahren wurden die Filme besser, länger, mit Musik unterlegt… Die ersten Monumentalfilme wurden ca. in den Jahren nach 1910 produziert – immer noch stumm.
Wenn ihr die Gelegenheit habt, schaut euch mal den Ben Hur von 1907 an. Fast nur Wagenrennen, aber irgendwie faszinierend. Und wenn ihr damit fertig seid, macht mit dem von 1925 weiter. Zweieinhalb Stunden Stummfilm in Technicolor, der teuerste Film seiner Zeit, einfach Wahnsinn, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, auf welchem Stand die Technik war und was damit gemacht wurde. Okay. Zurück zum Thema.

Ab 1908 kam die Filmmusik auf. Die wurde zunächst von einem Orchester direkt im Kino gespielt.

Im Herbst 1922 kam der erste echte Tonfilm.
Ein Film mit Tonspur. „Der Brandstifter„, produziert von Erwin Baron. Uraufführung in Berlin.

Allgemein legt man den Beginn der Zeit des Tonfilms aber auf das Jahr 1927. Der Film „The Jazz Singer„, produziert in den USA von Warner Bros. Ja, die mischten damals auch schon mit.

In den folgenden Jahren nahm der Stummfilm rapide an Bedeutung ab und der Tonfilm zu. Mitte der 1930er Jahre galt der Stummfilm als obsolet.

Zwar gab es damals natürlich noch kein Internet und Neuigkeiten reisten langsamer. Dennoch interessierten sich die Leute dafür, was anderswo passierte. Man wusste von Filmen aus Amerika, man wollte sie sehen. Sie mussten zugänglich gemacht werden. Übersetzt.

Die Tonspur dieser frühen Filme war im sogenannten Lichttonverfahren aufgenommen. Der Ton lag in einer Spur neben der Bildspur, zwischen den Bildern und der Lochleiste

Von Wapcaplet, uploaded by Andreas -horn- Hornig – Photo by Wapcaplet, effects in the en:GIMP., CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=246356

Der Ton konnte in dieser Form nur fertig gemischt aufgezeichnet werden. Das heißt, man konnte das Gespräch (die Dialogspur) nicht von der Hintergrundmusic (Score) oder den Hintergrundgeräuschen trennen. Wollte man den Ton austauschen, musste man alles, Dialog, Musik und Geräusche wie Türeknallen usw. gemeinsam neu aufnehmen. Der Aufwand war immens.

Sogenannte Zwischentitel kannte man aus dem Stummfilm. Von da zum Untertitel war es nur ein kleiner Schritt. Es war nicht allzu aufwändig. An das Lesen im Film war man ja noch gewöhnt. Der Ton blieb einfach wie er war. Der Aufwand war überschaubar.

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Wir befinden uns mitten in den 1930er Jahren.
Deutschland, Italien und Spanien entscheiden sich für den hohen Aufwand der Synchronisation.

1930er, Deutschland, Italien, Spanien… klingelt schon etwas?

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Heute sehen es viele als Vorteil der Untertitel, dass man den Originalton hören kann. Für ein faschistisches Land, das sich zwar nicht die Blöße geben will, Filme aus Hollywood und Co zu verbieten oder zu unterdrücken, birgt der Ausgangston doch das Risiko, dass ihn jemand verstehen könnte. Im Ton der in liberaleren Ländern aufgenommenen Filme können Gedanken, Ideen, Konzepte zum Ausdruck gebracht werden, die den Zuschauern am Ort der Übersetzung nicht gezeigt werden sollten. Noch schlimmer – es könnte ja auch sein, dass ein Film Inhalte hat, die gegen das eigene Regime sprechen.

Klar, kann man alles einfach verbieten.

Man kann dem Film aber auch „einfach“ eine neue Tonspur geben. Durch Änderung der Dialoge die übermittelte Propaganda und die dargestellten „Werte“ nach Belieben anpassen.

Synchronisation wurde aus unterschiedlichen Gründen immer wieder dazu verwendet, Inhalte zu verfremden. Ob es nun die Star Trek Episode Pon Farr ist („Weltraumfieber“), da im den 1970er Jahren keine Abhandlung zum Sexualleben der Vulkanier im deutschen Kinderfernsehen laufen durfte, ob man bei Hogan’s Heroes („Stacheldraht und Fersengeld“ bzw. „Ein Käfig voller Helden“) der für den deutschen Markt nicht tragbare Duktus (Ich vermeide es seit Einzug meiner Papageien, die Serie im Original anzusehen. Das Risiko, dass mir ein Papagei anschließend Originalzitate der 1940er an den Kopf wirft ist etwas zu groß) entschärft und dabei mal schnell eine neue Figur hinzuerfindet, oder ob Rainer Brandt (der eben auch für die Übersetzung von Hogan’s Heroes, M*A*S*H, zahlreichen Bud-Spencer-Filmen und vielen anderen mehr verantwortlich zeichnete) einer todlangweiligen amerikanischen Detektivserie, die nie so wirklich in die Gänge kommt nur durch geschickte Dialoge – so ziemlich ohne jede Beachtung des Originaltons – in Deutschland zum Kultstatus verhalf: Synchronfassung und Originalfassung haben außer der Bildspur nicht immer viel gemeinsam – und eine neue Tonspur kann eine komplett neue Handlung schaffen.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg war eben in bestimmten Ländern die Technik und das Wissen für die Synchronisation vorhanden. Sie wurde weiter verwendet, ausgebaut, verfeinert. Erst mit der Verbreitung der DVD fing der Untertitel an, sich parallel zu etablieren.

 

Tja… so ist das dann also: Wir synchronisieren bis heute unsere Filme – aufgrund der politischen Lage zum Zeitpunkt der Entstehung des Tonfilms.

 

17 Gedanken zu “Synchronisation, die Zweite

  1. Wow, Danke. Ich habe mir die letzten Tage echt a la „finde die Gemeinsamkeiten“ den Kopf zerbrochen, an die politische Lage zur Zeit der Entstehung des Tonfilms habe ich nicht gedacht.

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    1. Ich find’s allgemein faszinierend, wie viele scheinbar zufälligen oder wirren Sachen tatsächlich eine sinnvolle Erklärung haben, wenn man sich die Entstehung anschaut.
      Gerade die weitere Entwicklung der Synchronisation spiegelt aber zumindest bis zum Aukommen der DVD mit serienmäßigen Untertiteln – und teils auch noch darüber hinaus – immer auch kulturelle und politische Schwankungen wieder. Das war das Thema meiner Diplomarbeit. Sofern Interesse besteht, schreibe ich dazu gerne auch noch ein paar Blogeinträge.

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  2. … servus –
    habe deinen Beitrag als informativ spannend nachverfolgen können – ohne geschnörkelter Wortzutaten 🙂 – mich faszinieren bis heute Stummfilme – sie regen zur eigenen Fantasy an – die Bilder laufen im Kopf als ganz und gar nicht stumme Zeugen ab –
    – aber was mich in Polen an der Synchronisation aller Filme nervt … >ein Sprecher übersetzt mehrere Dialoge während des ganzen Filmes – die Polen kennen es nicht anders – langsam aber sicher finden sie den Weg zum Fortschritt 😀 –
    lieb grüß – zuza

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    1. Freut mich!
      Ja, genau das meinte ich mit dem Hinweis im Text… Polen hat eben über Jahrzehnte die „russische“ Vorgehensweise genutzt … nutzen müssen, ich schätze, da wird nicht viel gefragt worden sein.
      Für sich ist die Vorgehensweise historisch und technisch auch nicht uninteressant. Für mich ehrlich gesagt nicht zugänglich. Ich kann Filmen so nicht folgen. Andererseits hatte ich russische Kommilitonen, die von „unserer“ Art der Synchronisation mit verteilten Rollen irritiert waren und das wiederum total komisch und gewöhnungsbedürftig fanden.
      Der Stummfilm ist, finde ich, eine Kunstform für sich.

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    1. So interessant, dass ich darüber mal eine Diplomarbeit geschrieben habe. Also jetzt nicht speziell zu dem Post sondern zur Entwicklung der Synchro und wie die immer das politische und kulturelle Klima wiedergespiegelt hat.

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      1. 🙂 Es ist echt ein interessantes Thema… Medienübersetzen und damit auf Untertiteln und Synchronisieren, habe ich ja auch an der Uni gemacht, fand ich immer faszinierend – auch wenn ich meine „Brötchen“ nicht damit verdienen möchte.

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  3. Sooo jetzt habe ich endlich den langen Text geschafft, echt interessant. Ich wusste nicht, dass es auch was mit Politik zu tun haben könnte und man so ja eigentlich super manipulieren kann.
    Meine Vermutung war eher Geld und Faulheit…

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  4. Danke für diese Erklärung! Ich beschäftige mich ja durchaus auch mit Politik und mit unserer dunklen Vergangenheit, aber daß diese eine Auswirkung auf die Verfahrensweise beim eindeutschen von Filmen haben könnte, hatte ich bisher überhaupt nicht in Erwägung gezogen.

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    1. Ja… Immer wieder interessant, auf was manche Dinge zurückgehen, bei denen man in den meisten Fällen gar keinen Grund hat, drüber nachzudenken, warum es denn nun so und nicht anders ist.

      Synchronisation war auch immer eine Sache, die sehr stark die vorherrschenden Strömungen und Einstellungen widergespiegelt hat. Fand und finde ich sehr spannend.

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